Impulstexte-
-Zu verschiedenen Gelegenheiten bei Ausstellungseröffnungen.
Betrachtungen
Zur Ausstellung "Roush hour", Februar 2023 in der Galerie im Alten Bau
Auf diesen Bildern befindet sich alles im Schwung.
Über sorgfältig platzierte Flächen wandern gestische Pinselstriche, mit Verve geführt, man mag es interpretieren, ein Hauch der Eile, eine Berührung des
Zeitgeistes. Was tritt uns da gegenüber? Eine Momentaufnahme vielleicht, eine Notiz, eine ganze Sammlung, einige Jahre voller Gesehenem, das sich auf der Leinwand niederschlägt.
Nicht wie bei der Fotografie beispielsweise ein Ausschnitt aus dem Alltag, ein Ausschnitt des Gewesenen, so Gesehenem, sondern die Summe des Erfassten, der vielen
Eindrücke und Ideen, die sich beim bewussten
Sehen ergaben. Es ist ein Spiel zwischen Informel, Zeichenlosem, eigenen Zeichen, der Andeutung von Tiefe und Wiedererkennbarkeit, die den Betrachter involviert,
zum Sehen herausfordert.
So springt der Betrachter bei dem Versuch des Ergründens des Vorgefundenen zwischen den Zeichen des
Malers Johannes Schießl hin und her. Es ergeben sich Spannungen, Regelmässigkeiten und Beziehungen zwischen einzelnen Zonen der Bilder.
Der Versuch auf den Bildgrund vorzustossen, wird nach Kräften erschwert, man durchdringt die eine Ebene,
vielleicht mit trockenerem Pinsel geführt, das Darunter zeichnet sich noch ab, scheitert aber an einer in die
Quere kommenden Farbfläche. Überhaupt wird der Betrachter mal regelrecht in die Tiefe geführt, fast schon überrascht von einem perspektivisch anmutenden Element, um
sich dann in einem Raum voller Zeichen wiederzufinden, die eben nicht nur Realität erklären, nachbilden wollen, sondern sich auch formal mit dem Thema Farbe, Vorder-, Hintergrund befassen, dem
gewählten, meist drastischen Hochformat befassen.
Das Hochformat spricht für den Ausschnitt dessen, was zu sehen ist - das Gegenteil des Panoramas - es
bringt den Blick zum Abstürzen. Wohin führte der Bildraum, wenn er weiterginge?
Schießl, der an der ABK Stuttgart ausgebildete Maler und in Regensburg studierte Kunstgeschichtler, beschreibt seine Tätigkeit als Expeditionszeichner im
Amazonasgebiet als Initialzündung der Abstraktion, wo vorher die freie Wiedergabe von draussen gemalten Landschaftsbildern stand, finden sich nun in der freien Wiedergabe Landschaften, nicht
expressionistisch in der Farbigkeit, aber expressiv im Strich.
Angesichts der Überfülle der Regenwälder bleibt einem gar nichts anderes übrig als abstrakt zu werden,
möchte man meinen, Perspektive und Einzelheiten auszumachen scheint angesichts endloser Blätterstrukturen und Baumstämme schwierig.
Eine Endlosigkeit, die nicht nur dem Maler Kopfzerbrechen bereiten kann, galt sie doch dem
ästhetisierenden Naturforscher Alexander von Humboldt als „weitgehend unspektulär“. Ein Beispiel dafür,
wie sehr kulturell Vorgeprägtes die eigene Wahrnehmung beeinflusst und bestimmt.
Nun malt Johannes Schießl aber nicht mehr das Gedränge im tropischen Regenwald, sein Augenmerk ruht
auf anderer Verwirrung, der Wechsel in den Grossstadtdschungel hat vielleicht Anlass gegeben zur hier ausgestellten Serie.
Wie um 90° gedrehte Filmstills reihen sich die Bilder aneinander.
Manchmal glaubt man in der erstarrten Masse der Farbe auf der Leinwand Gestalten zu erkennen, von
namenlosem Startpunkt ans unbekannte Ziel strebend. Bevor dieser Eindruck verifiziert werden könnte,
verschwinden sie aber bereits wieder im Taktgeber Pinselstrich, in der auf die Leinwand gebrachten Rhythmisierung des Bildraumes. Wir sehen auf den Bildgrund
aufgebrachte, eingravierte Strecken, genommene Abkürzungen und Umwege.
Schnelle und lange Pinselstriche, mal vermeintlich hastig, immer mit genauem Bewusstsein des angestrebten Endpunktes, wandern die Bildfläche entlang, als wären es
kurze oder lange Schritte.
Schritte, die die anthropomorphen Gestalten der Serie „Wekarus“ nicht tun müssen, sie hängen bereits in der Luft, zwischen Schweben und Absturz, zwischen Himmel und
Meer. Menschliche Bestandteile mäandern
überlängt und verdreht, von der Starrheit ihres Skeletts befreit, fast schon barock in der Fläche hängend über die Leinwand. Sie scheinen ihre bisherige
Flugfähigkeit zu verlieren, wir sehen vielleicht eine Momentaufnahme eines kollektiven Absturzes.
Betrachtungen
Zur Ausstellung "Geiselschmitz", April 2023 in der Galerie im Alten Bau
Diesen Bildern sitzt der Schalk im Nacken. Sie spiegeln den Widergänger einer Gesellschaft, in der wir leben, aber es nicht wollen. Sind Persiflagen alltäglicher
Beobachtungen.
Wie mittelalterliche Gryllen, verzerrt und alptraumhaft, janusköpfig oder kopflos, blicken die Gestalten in den Bildern orientierungslos vor sich her. Sie sind bereits in den Tartarus geworfen, ein Entkommen scheint unter dem alptraumhaften Himmel unmöglich, wir sind in einer Welt, die auf mittelalterlichen Karten hinter dem Ozean gelegen hätte, am Rande der Welt des antiken Griechenland, hinter dem Horizont der „Flat Earther“ von heute. Die Menschheit ist ihren eigenen Possen ausgeliefert, eigentlich braucht sie keinen Ulenspiegel mehr, der sie foppt - doch tun´s diese Bilder.
Hier wurde die Realität zu dem, was Tantalus erfahren hat, wir betrachten den täglichen Irrsinn einer technisierten, mediengeprägten, von Populisten zerissenen Welt. Die Badenden, die sich vor hundert Jahren und davor noch in Wäldern räkelten, die heute durch ein Maisfeld ersetzt worden sind, finden sich wieder.
Es ist ihnen unmöglich einander zu berühren. Jeder kämpft für sich.
Die Farbigkeit gemahnt an den Expressionismus; an digitalisierte, übersteigerte Kolorierung, verdrehte Gradationskurven in Photoshop. Man begegnet Flächen wie monet´schen Seerosen, mittelalterlich symbolhaften Gebirgen in der Ferne. Die Themen allerdings sind zeittypisch, von einer prinzipiellen Zeitgenossenschaft, einem beobachtenden Kommentieren, Persiflieren. Leuchtend bunt, beunruhigend in den Kontrasten strahlen sie uns entgegen.
Beunruhigend auch die degenerierten Gestalten darin, zerfleddert bis kopflos, wiedererkennbar oder auch stereotypisiert, mal umgeben von stehendem Gewässer, mal von Smileys und gereckten Daumen. Ein drückender Himmel überwölkt das Leiden einer postmodernen Gesellschaft, die sich hoffnungslos windet.
Ihre Bewohner vergegenwärtigen die Leidenden in den Bildern des Zeichners und Sozialkritikers George Grosz. Allerdings: Wo Grosz noch gesellschaftliche Ungleichheiten, politische Ränke und das menschliche Extrem darstellte, sind diese Bilder schwerer zu deuten. Die Prototypen stehen für etwas, das in den Prozessen der postmodernen - nicht der modernen - Gesellschaft beobachtet wurde. Einer Zeit also, in der die Medien als vierte Gewalt im Staate immer mehr diese Rolle einnahmen, in der aber die so genannten „Neuen Medien“ noch fehlen. Popkultur und Likes sind dort noch Zukunftsmusik, hier sind sie bereits Realität, Alltag geworden.
Die Figuren zerfasern sich in Farbflächen, die Klarheit ihrer Erscheinung, ihre eindeutige Gegenständlichkeit wird aufgelöst von der hineindrängenden Farbe. Die Entitäten, die auf den Bildern in Erscheinung treten sind Kontrast in sich. Als würde sich die Landschaft eines munch´schen Schreis endlos ausbreiten für die Possen einer zum Verderben verurteilten Gesellschaft. So sieht nicht eine Welt im Untergang aus, diese Bilder sind bereits nach der Apokalypse entstanden. Die geistige Atombombe ist bereits explodiert.
Und wer beobachtet solcherlei Geschehen, solch ein abseitiges Fernsehprogramm, und verfügt über die Möglichkeiten dem Ausdruck zu verleihen? Es ist Wolfgang
Neumann. Der Ex-Student an der Akademie in Stuttgart hat neben der Malerei, der Zeichnung und Kunstgeschichte, Intermediales Gestalten studiert und das merkt man seiner
Ausstellungsgestaltung an - das wird der- und auch diejenige bemerken, die einen Blick auf sein bisheriges Arbeiten wirft. Dieser Studiengang untersucht das Verhältnis von Kunst und Raum und
untersucht die Rolle der Kunst in der Gesellschaft, insbesondere auch mit Blick auf das künstlerische Lehramt.
Figuren wandern nicht nur auf den Bildern, die Untersuchungen von Bewegungsabläufen und vielleicht auch der Versuch eines Unterbruchs bei der Betrachtung, setzt sich fort auf den Wänden der Ausstellungsgelegenheiten. Ein Glück, dass die Fotografie erfunden wurde um manche Ideen festzuhalten...Solcherlei Elemente wären verloren. Neumann macht aus seinen Räumen Bühnen, nicht nur in den Bildern, auch um die Bilder herum. Die Gestaltung endet nicht am Rahmen, er ist ein Teil davon.
Das merkt man auch noch an anderer Stelle und hätte (oder hat) es gestern Abend in der Rätsche genossen. Textfindung und Musik sind auch Teil des Arbeitens von Wolfgang Neumann. Man meint in den Texten und Bildern die gleiche Unruhe zu erkennen, dasselbe Unbehagen, die Zeitkritik.
„Die Neonröhre
spendet uns Licht
in letzten Ecken
haben wir Sicht“
So ein Ausschnitt aus einem der Gedichte Wolfgang Neumanns. Immer wieder glaubt man ein lyrisches Ich zu erkennen, das durch die Bilder wandert und Ausschnitte beschreibt, das Lebensgefühl auf der bis ins letzte ausgeleuchteten Bühne.